Anwesenheitsprämien: Probates Mittel gegen Krankheiten und Fehlzeiten?

"Die Einführung von Anwesenheitsprämien ist bei uns ein aktuelles Thema. Aus dem Seminar habe ich viele Informationen mitgenommen, um die zu treffenden Entscheidungen über die Form der Anwesenheitsprämie und über die Vorgehensweise bei der Einführung der Anwesenheitsprämie auf solide Füße zu stellen." (Weitere » Erfahrungen und Stimmen der Teilnehmer)

Eckhard Eyer: Was Sie bei der Einführung von Anwesenheitsprämien bedenken und beachten sollten.
Eckhard Eyer: Was Sie bei der Einführung von Anwesenheitsprämien bedenken und beachten sollten.

Die Ressource Mensch ist ein wertvoller und teurer Produktionsfaktor. Der wertschätzende Umgang mit Mitarbeitern versteht sich da von selbst. Eine gute Mitarbeiterführung in den Unternehmen ist dabei ebenso wichtig wie menschengerechte Arbeitsbedingungen. Um die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten und Fehlzeiten zu minimieren, denken viele Unternehmen auch über den Anreiz in Form einer sogenannten Gesundheitsprämie oder Anwesenheitsprämie nach.

Ziele und Vorbehalte, Vorteile und Nachteile von Anwesenheitsprämien

Doch Mitarbeiter, Betriebsräte und Gewerkschaften stehen Anwesenheitsprämien oftmals sehr kritisch bis ablehnend gegenüber.

Erfahren Sie hier von Eckhard Eyer mehr über sinnvolle Vorgehensweisen bei der Einführung und Umsetzung von Anwesenheitsprämien, über Vorteile und Nachteile und über Möglichkeiten und Grenzen. Lernen Sie drei Praxis-Beispiele für Anwesenheitsprämien kennen. Diese sollen dazu beitragen, Sie bei Ihrer Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ der Einführung von Anwesenheitsprämien zu unterstützen.

Der Fachkräftemangel und die steigenden Krankenstatistiken führen in vielen Unternehmen dazu, über eine (wie auch immer etikettierte) Anwesenheitsprämie nachzudenken. Mitarbeiter, Betriebsräte und Gewerkschaften stehen dem Thema Anwesenheitsprämie sehr kritisch gegenüber. Konflikte bei diesem sehr stark polarisierenden und emotionalen Thema sind damit quasi vorprogrammiert.

Ausgangssituation ermitteln: Analyse von Krankenstand und Fehlzeiten

Wenn Unternehmen sich diesem Thema dennoch widmen möchten, ist die erste Aufgabe, ein Benchmark mit dem relevanten regionalen Arbeitsmarkt vorzunehmen. Hierdurch kann festgestellt werden, ob es sich um gefühlt oder um statistisch abgesichert überdurchschnittlich hohe Krankenstände handelt. Will eine Unternehmensleitung Anwesenheitsprämien einführen, sollte das zum einen mit sehr viel Fingerspitzengefühl geschehen und zum anderen ein gemeinsames Problemverständnis zwischen Management und Betriebsrat bei einem Kamingespräch formuliert werden.

Die Erfahrung zeigt, dass es ohne ein gemeinsames Problemverständnis keine gemeinsame nachhaltige Lösung gibt. In diesem Gespräch sollen auch Gründe für die überdurchschnittlich hohen Fehlzeiten erörtert und hier gegebenenfalls direkt Abhilfe geschaffen werden. Es hat sich bewährt, nicht nur bei den Mitarbeitern die Ursache für deren Krankenstand zu suchen, sondern auch mögliche Versäumnisse auf der Seite des Unternehmens zu ermitteln und anzupacken.

Krankenstand und Fehlzeiten: Benchmarking gezielt vornehmen

Der Vergleich der Fehlzeitstatistiken mit anderen Unternehmen oder Standorten im Unternehmen ist zum einen auf der gleichen Basis vorzunehmen, also beispielsweise für die Dauer der Entgeltfortzahlung oder auch unter Einbeziehung von Langzeitkranken. Zum anderen sind die nachstehend benannten Rahmenbedingungen bei der Auswahl der Benchmarking-Partner für einen aussagefähigen Vergleich angemessen zu berücksichtigen. Ist das nur bedingt möglich, sind die unterschiedlichen Rahmenbedingungen spätestens bei der Interpretation der dem Benchmarking zugrunde liegenden Zahlen zu einzubeziehen, was leider nicht selten sehr konfliktreich und zumeist sehr emotional verläuft.

Zu berücksichtigende Aspekte beim Benchmarking (Beispiel, Auszug)

Qualifikation der Mitarbeiter z. B.

  • im Krankenhaus (Ärzte, Pflegefachkräfte, Therapeuten, Hauswirtschaftler, Reinigungskräfte, …)
  • im Unternehmen (Marketing, Forschung und Entwicklung, Produktion, Logistik, Rechnungswesen, …)

Schichtsystem

  • Einschichtig
  • Mehrschichtig / Wechselschicht
  • Nachtschicht
  • Wochenendschichten

Belastungen

  • Körperliche
  • Psychische

Geschlecht der Mitarbeiter

  • männlich
  • weiblich
  • divers

Lebensalter

  • Durchschnittsalter
  • Verteilung auf die Lebensjahre

Einhaltung des Dienstplans

  • Häufig kurzfristige Änderungen
  • Hohe geforderte Flexibilität

Vereinbarkeit von

  • Familie und Beruf
  • Ehrenamt und Beruf
  • Hobby und Beruf

Arbeitsverträge

  • Zeitverträge
  • Festanstellungen

Regionaler Arbeitsmarkt

Hierzu ein Beispiel: Der Vergleich der Krankheitsquote von mehreren Altenheimen erscheint auf den ersten Blick einfach. Es stellt sich jedoch beim Vergleich innerhalb eines bundesweit arbeitenden Unternehmens die Frage, ob die Statistiken vergleichbar sind, weil die regionalen Arbeitsmärkte sehr unterschiedlich sind. Hier kann sich ein Vergleich in der Region anbieten, sofern zum Beispiel Branchenverbände oder insbesondere Arbeitgeberverbände, aber auch Gewerkschaften über entsprechende statistische Daten verfügen.

Bei der Krankheitsquote in einem Krankenhaus kann es interessant sein, für verschiedene Mitarbeitergruppen eigene Statistiken anzufertigen. Bei der Gestaltung einer Anwesenheitsprämie ist abzuwägen, ob eine Differenzierung zwischen den Mitarbeitergruppen sinnvoll ist oder ob eine potenziell unterschiedliche mitarbeitergruppenbezogene Anwesenheitsprämie „zerredet“ wird.

Anwesenheitsprämien passgenau gestalten

Das Entgeltfortzahlungsgesetz gibt im § 4a EntgFG vor, dass der Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern zusätzlich zum vereinbarten Arbeitsentgelt eine Sondervergütung zahlt, diese für jeden Krankheitstag des Mitarbeiters um bis zu 25 Prozent seines Tagesverdienstes reduzieren kann, bis die Sondervergütung aufgezehrt ist.

Würde diese Regelung beispielsweise mit einem zusätzlichen Arbeitsentgelt von 50 Prozent eines Monatsgehaltes umgesetzt, dann wäre das legal, aber möglicherweise nicht zielführend, weil sie nicht passgenau auf die betriebliche Situation zugeschnitten ist.

Gemeinsam erarbeiten, gerecht gestalten und fair umsetzen

In diesem sensiblen Kontext hat es sich – wie in vielen anderen Vergütungsprojekten – bewährt, dass nach einem Kamingespräch, in dem eine gemeinsame Sicht auf den Krankenstand und seine Senkung festgestellt wurde, die Anwesenheitsprämie in drei Schritten erarbeitet wird:

Es reicht bei dem sensiblen Thema nicht, dass – wie schon erlebt – der Geschäftsführende Gesellschafter eines Unternehmens vom Betriebsrat fordert, den Krankenstand im 4-Schichtbetrieb von Frauen und Männern mittels einer Anwesenheitsprämie auf 6 Prozent zu senken. Im vorliegenden Fall fragte der Betriebsrat den Unternehmer, ob er nicht wisse, dass der Krankenstand seit Jahren bei unter 5 Prozent liegt und eine Anwesenheitsprämie wenig Wirkung entfalten könnte. Im Gegenteil, die Loyalität der Mitarbeiter und ihre Identifikation mit dem Unternehmen würde untergraben.

An den nachfolgenden Beispielen werden drei passgenaue betriebliche Anwesenheitsprämien beschrieben.

Beispiel 1: Anwesenheitsprämien bei einem Hersteller von Fahrzeugauflegern

Im Jahr 1996 regelte das Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG), dass Mitarbeiter statt bisher 100 Prozent nur noch 80 Prozent ihrer Vergütung als Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erhalten oder alternativ, wenn sie eine Woche krank sind, einen Tag Urlaub nehmen müssen. Der Krankenstand ging bundesweit zurück. Zum 01.01.1999 wurde diese Regelung wieder aufgehoben. Der Geschäftsführende Gesellschafter eines Unternehmens, das an drei Standorten Fahrzeugaufleger oder Fahrzeughänger mit insgesamt rund 6.500 Mitarbeitern herstellt, wollte nach der Abschaffung dieser Regelung seinen Mitarbeitern wieder einen Anreiz geben, weniger krank zu sein.

Nach harten Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat wurde die die freiwillige übertarifliche jährliche Gewinnbeteiligung ab 1999 in Abhängigkeit der Krankheitstage ausgezahlt. Ausgehend von der durchschnittlichen Ist-Jahresarbeitszeit wurde die durchschnittliche Gewinnbeteiligung pro Mitarbeiter errechnet. Den Mitarbeitern wurde dann entsprechend ihres Beitrags zum Unternehmenserfolg – gemessen in den individuellen Anwesenheitstagen – eine Gewinnbeteiligung ausgezahlt. Dabei wurden die Durchschnitte für Mitarbeitergruppen der gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten, deren Krankheitsrisiko bei der Arbeit unterschiedlich hoch ist, unterschieden. Ein Betriebsratsmitglied formulierte es einmal so: „Wenn ein Hammer von der Werkbank fällt ist das gefährlicher, als wenn ein Bleistift vom Schreibtisch fällt“. Der Krankenstand ging aufgrund der Erfolgsbeteiligung unter Berücksichtigung der individuellen Anwesenheitstage ab der Einführung nachhaltig um ca. 1,5 Prozentpunkte zurück.

Beispiel 2: Anwesenheitsprämien bei einem ambulanten Krankenpflegedienst

Nicht nur der Geschäftsführende Gesellschafter eines ambulanten Krankenpflegedienstes mit rund 120 Mitarbeitern an drei Standorten ärgerte sich über die Mitarbeiter, die im Umfeld des Wochenendes ein bis zwei krank wurden und so ihre Wochenenden verlängerten: Den Kollegen ging es ebenso, einige schlossen schon Wetten ab, ob ein Kollege am nächsten Wochenende krank wird oder nicht. Im Kontext der Überarbeitung des betrieblichen Entgeltsystems wurde mit dem Betriebsrat eine Anwesenheitsprämie erarbeitet.

Die Mitarbeiter konnten hiernach im Halbjahr zusätzlich 200 Euro verdienen, wenn sie nicht krank wurden. Pro Krankheitstag wurden dem Mitarbeiter 20 Euro abgezogen, somit betrug die Anwesenheitsprämie bei 10 Krankheitstagen 0 Euro. Langzeitkranken wurden somit maximal 200 Euro im Halbjahr abgezogen. Die Anwesenheitsprämie wurde von den Mitarbeitern nicht nur akzeptiert, sondern begrüßt. Der Krankenstand sank in den Jahren nach der Einführung um 2 Prozentpunkte. Aufgrund dieses Erfolgs gab der Unternehmer einige Jahre später jedem Mitarbeiter, der im Kalenderjahr nicht krank war, zusätzlich drei Tage bezahlten Sonderurlaub.

Beispiel 3: Anwesenheitsprämien bei einem mittelständisches Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie

Das mittelständische Unternehmen arbeitet seit den 1970er Jahren mit einem hohen Anteil von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund in der dreischichtigen und teilweise vierschichtigen Produktion. Die Erfahrung zeigte, dass die Mitarbeiter gerne ihren Jahresurlaub nutzten, um in die Heimat zu fahren und dort Urlaub zu machen. Nicht selten kam es am Urlaubsort zu mehrwöchigen Krankschreibungen, die den Urlaub verlängerten. Im Unternehmen fehlten die Mitarbeiter.

Die Geschäftsführenden Gesellschafter erarbeiteten eine Anwesenheitsprämie, die zum Inhalt hatte, dass jeder Mitarbeiter im Jahr 5 Tage krank sein konnte, ohne dass es Auswirkungen auf das Entgelt hatte. Ab dem 6. Krankheitstag wurde je Krankheitstag die Anwesenheitsprämie um 20 Prozent des Tagesverdienstes reduziert. Wurde ein Mitarbeiter ein ganzes Jahr nicht krank, konnte er seine „nicht genommenen 5 Krankheitstage“ mit ins nächste Jahr nehmen. Wäre er im Folgejahr krank geworden, dann hätte er die ersten 10 Tage keine Reduktion der Anwesenheitsprämie hinnehmen müssen. Diese bewährte Regelung wurde auch in den Haustarifvertrag übernommen, der später mit der IG Metall abgeschlossen wurde, da sie von der Belegschaft akzeptiert und nicht als unfair erlebt wurde.

Fazit zu Anwesenheitsprämien

Ziel der drei beschriebenen Beispielen für Anwesenheitsprämien war es immer, eine passgenaue Lösung auf die betriebliche Situation unter Beteiligung der Betroffenen zu erarbeiten und fair umzusetzen. Die Anwesenheitsprämie muss im betrieblichen Kontext als gerecht erlebt werden, sozusagen ein Good Pay sein. Dabei ist es wichtig, einen positiven Anreiz für die Mitarbeiter zu schaffen und sie nicht zu bestrafen. Die Anwesenheitsprämie muss, so zeigt die Erfahrung, von der Unternehmenskultur getragen werden.

Über Eckhard Eyer

Eckhard Eyer bietet konzeptionelle Beratung bei der Entwicklung und Umsetzung von Führungs- und Entgeltsystemen sowie bei dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen und Haustarifverträgen. Erfahren Sie hier mehr über und von » Eckhard Eyer.

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